Football, you can go home -Das läuft gehörig schief

B42

30.09.2021 Lesezeit: 3 min

Das ist nicht die EM, die wir wollten

Diesen Sonntag geht eine Fußballeuropameisterschaft zu Ende, auf die wir ein Jahr länger warten mussten als ursprünglich gedacht. Aus der unfreiwillig verlängerten Vorfreude wurde allerdings schnell Resignation. Es war eine EM, die zumindest hier in Deutschland, aber auch in vielen anderen Ländern, nie wirklich für Euphorie gesorgt hat. Das lag im Fall Deutschlands selbstverständlich am enttäuschenden Abschneiden unserer Mannschaft, aber auch an den Umständen und Nebengeräuschen dieser EM.

 

Das Fußballfieber verpufft

Dabei waren mit den Fans der teilnehmenden Länder – allen voran die Schotten zu nennen – und teilweise fußballhistorischen Spielorten doch alle Zutaten für ein prickelndes Fußballfest gegeben. Der Gewinner dieser Europameisterschaft waren dann aber nicht die Fans oder die Mannschaften. Zwar waren ab dem Halbfinale ausschließlich Mannschaften vertreten, die es alle mehr als verdient hatten nach Wembley zu reisen – die beste Defensive, die beiden spielstärksten Mannschaften des Turniers und ein rot-weißes Fußballmärchen, das nach traumatischem Beginn uns alle begeistert hat. Gewinner waren am Ende trotzdem nicht der Fußball und jene Geschichten, die nur er schreiben kann. Gewinner waren in erster Linie diejenigen, die abseits der Fernsehkameras agieren und diesen Sport im Hintergrund lenken. Sich anmaßen, ihn besitzen zu können.

Eine ehrenwerte Idee

Aber lasst uns einen Schritt vorher beginnen: Bei der Vergabe dieses Turniers durch die UEFA, die im Endeffekt eine Vergabe an sich selbst war. Irgendwo hatte diese Idee selbstverständlich etwas Romantisches und Erhabenes: eine europäische Europameisterschaft, ausgespielt auf dem gesamten Kontinent, Fußballfans in den verschiedensten Ländern die Möglichkeit bietend, „bei sich zuhause“ Spiele zu besuchen. Keine Inszenierung eines alleinigen Gastgebers, sondern ein Signal an alle Europäer und den kontinentalen Zusammenhalt. Geschenkt, dass Mannschaften und ganze Fanlager innerhalb weniger Tage mehrere tausende Kilometer für ihre jeweiligen Spiele reisen müssen. Geschenkt, dass überall so ein bisschen, aber nirgendwo so richtig EM-Stimmung aufkommen würde. Und geschenkt, dass mehr als ein Drittel der Spiele in Ländern stattfindet, die es mit Menschen– und Grundrechten nicht ganz so genau nehmen. Denn so ist die Wirklichkeit: Korruption, Verletzung der Menschenrechte, Rassismus und Homophobie. Es gehört (leider) immer noch zu Europa, zum Fußball und damit eben auch zu dieser EM.

 

Gastgeber und Teilnehmer

Bei einem genaueren Blick auf Gastgeber und Teilnehmer dieses pan-europäischen Sportfestes offenbart sich nämlich ein bedenkenswertes Bild. Während all jene Nationen, denen man ein etwas lockeres Verhältnis zur Demokratie nachsagen könnte, den Anstand hatten, sich fußballerisch bereits zur Vorrunde zu verabschieden, hatten die entsprechenden Gastgeber ausführlich Zeit, sich zu präsentieren. Keiner der Gastgeber Ungarn, Russland und Aserbaidschan werden aktuell vom Freedom House Index als „freie“ Ländern bewertet; Russland und Aserbaidschan mit 20 bzw. 10 von 100 möglichen Punkten sogar als „nicht frei“ klassifiziert. Aserbeidschan rangiert damit u.a. hinter dem Gazastreifen. Nun könnte man natürlich argumentieren, dass erstens Sport und Politik nichts miteinander zu tun hätten und zweitens, dass es auf dieser Welt doch schon lange Gang und Gäbe ist, große Sportereignisse an zweifelhafte Gastgeber zu vergeben. Ersteres ist faktisch falsch und letzteres gerade im Kontext einer gemeinsam ausgerichteten EM höchst problematisch.

Ein Dank an die drei Musketiere!

Einerseits ist es natürlich nicht zielführend, Ländern wie Russland oder Katar eine alleinige weltmeisterliche Plattform zu bieten. Allerdings ist es im Zweifelsfall noch viel problematischer mit undemokratischen und unfreien Staaten auf so einer Bühne zu kooperieren und sie dadurch mit offenen Armen in die europäische Familie aufzunehmen. Das schafft Legitimation. Und als europäische Wertefamilie die weitreichenden Menschenrechtsverletzungen in Ungarn, Russland und Aserbaidschan zu legitimieren ist das letzte was wir tun sollten. Es ist schon problematisch genug, wenn sich die großen supranationalen Verbände UEFA – und somit ihr Präsident – oder FIFA damit arrangieren, zumindest wir, als Fans und Wertegemeinschaft sollten dem entgegentreten. Stattdessen verbergen sich die Verantwortlichen – insbesondere auch beim deutschen Fußballverband – hinter juristischer Paragraphenreiterei und verpassen es, sich mal eindeutig sportpolitisch und gesellschaftlich zu positionieren. Und unsere politischen Repräsentanten hofieren und empfangen gerne mal eben jene Politiker, gegenüber denen wir endlich mal klare Kante zeigen sollten. Europäischer Verband, nationale Verbände und Politik: die unheilige Dreieinigkeit der vornehmen gesellschaftspolitischen Zurückhaltung.

 

Sponsoren und Pandemie

Dementsprechend ist es wenig überraschend, dass die UEFA als Partner unattraktiver denn je ist. Somit ist es auch kein Wunder, dass sich (west)europäische Konzerne mehr und mehr von UEFA-Wettbewerben zurückziehen. Das entstehende ökonomische Vakuum wird von allem von Firmen und Marken aus Fernost genutzt. China will früher oder später eine WM ausrichten, die entsprechende Produktplatzierung und damit verbundene Blankschecks wandern jetzt schon mal in Richtung fußballpolitischer Machtzentren. Aber irgendwoher muss das Geld ja auch herkommen. Zu sehr möchte man die Staatskassen der ehrenwerten Sportskameraden Putin & Co. ja auch nicht strapazieren.

Ein pan-europäisches Großturnier ist grundsätzlich eine Herausforderung, nicht nur organisatorisch und ökonomisch. Auch ohne Pandemie. Dass diese globale gesellschaftliche Krise es dieser pan-europäischen EM noch einmal zusätzlich erschwert hat, die Fußballfans in ganz Europa zu verzaubern, liegt auf der Hand und ist grundsätzlich nicht Fehler der Organisatoren. Ihr Umgang mit dieser Krise ist es allerdings schon. Nichts füttert einen Virus besser als große Menschenmengen, die sich geschlossen von Land zu Land bewegen. Dadurch hatte diese Europameisterschaft ständig den schalen Beigeschmack unangebracht und anmaßend zu sein.

 

Das ist nicht UNSER Fußball, UNSERE Europameisterschaft

Somit lässt am Ende vor allem eines feststellen: selten hat eine EM oder WM so wenig Spaß gemacht wie dieses Jahr. Natürlich wäre es unfair, in dieser Bewertung die Pandemie außer Acht zu lassen. Es ist ein Faktor, den niemand der Organisatoren zu verantworten hat und der uns nicht nur diese EM durchkreuzt hat, sondern vieles (Wichtigeres) mehr. Aber die Pandemie sollte trotzdem nicht als Ausrede oder alleiniger Grund missbraucht werden. Zu zahlreich, zu schwerwiegend waren die Fehler im Vorfeld und während dieses Turniers. Es hat Staaten in die europäische Werte- und Fußballgemeinschaft mit aufgenommen, die es nicht verdient haben, an ihr teilzuhaben. Es hat diesen Staaten eine Plattform gegeben, ihre Gesellschaftspolitik legitimiert und ihnen nachgeben. Stattdessen wurden jene Spielorte gestrichen, die bewusst verantwortungsvoll mit der Pandemie umgegangen sind und Zuschauerkapazitäten drastisch reduziert hätten. Dieses Turnier hat uns einmal mehr alle zu Mittätern und Kollaborateuren eines Ausverkaufs des europäischen Fußballs und europäischer Werte gemacht. Die Gewinner dieser Europameisterschaft sind nicht die Fans, nicht die Mannschaften oder der Fußball an sich. Die Gewinner sitzen in Baku, Budapest, Moskau und Beijing. Sie alle werden hochzufrieden sein mit dieser EM. Wir sind es nicht. Diesen Fußball wollen wir nicht!

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